Germania-Pleite: Wie die Mitarbeiter die Insolvenz erleben

Ein Anblick der Geschichte ist: Ein Germania-Flieger im Endanflug. (Foto: Germania / Karsten Kießling)
Ein Anblick der Geschichte ist: Ein Germania-Flieger im Endanflug. (Foto: Germania / Karsten Kießling)

Ich hatte die Gelegenheit mit einem Germania-Mitarbeiter aus der Hauptverwaltung zu sprechen, wie er die Pleite erlebt hat, wie die Informationspolitik seitens der Geschäftsführung war und wann es die ersten Anzeichen einer Krise gab.

Magst du Dich kurz den Lesern vorstellen?

Da ich noch bei Germania angestellt bin und wir auch weiterhin zur Arbeit gehen, möchte ich doch lieber anonym bleiben. Ich bitte um Verständnis. Ich bin aber lange genug dabei, um das Unternehmen gut zu kennen.

Wann hast Du das erste Mal davon erfahren, dass Germania in finanziellen Schwierigkeiten steckt?

Ich glaube das war so über den Sommer, als uns immer wieder schlechte Zahlen genannt wurden. Da haben wir uns aber noch nichts gedacht, da Germania ja seit 30 Jahren im Markt ist und wir in dem Glauben waren, ein solides Finanzpolster zu haben. Stutzig wurden wir im Dezember, als eines Mittwoch morgens plötzlich eine Betriebsversammlung einberufen wurde und man uns erklärte, dass die Firma umstrukturiert werden soll. Die Mitarbeiter, die von Air Berlin kamen, kannten das schon und waren skeptisch, ob es hier nur darum ging, sich für die Zukunft richtig zu positionieren. Als dann im Januar öffentlich wurde, dass eine finanzielle Lücke klafft, hat uns das alle fast umgehauen.

Wie hast Du bzw. haben Deine Kollegen auf diese Nachrichten reagiert?

Sofort kamen bei uns allen Ängste hoch, ob wir jetzt „grounden“, unsere Jobs verlieren und für diesen Monat überhaupt noch bezahlt werden. Mit den „good News“ von Mitte Januar waren dann einige Mitarbeiter wieder besänftigt. Ich jedoch nicht. Mir kamen viele Wordings in der Meldung komisch vor und auch, dass auf Facebook niemand vom Unternehmen mehr kommentiert oder geliked hat. Ich fragte mich, ob die Social Media Abteilung bewusst keine Reaktion mehr zeigte, immerhin gab es doch gerade gute Nachrichten und das feiert man doch eigentlich mit seinen Kunden und Followern.

Wurdet Ihr in den folgenden Wochen laufend informiert, wie der Fortschritt der Beschaffung frischen Geldes ist?

Informiert ist gut… Zeitgleich zu den Pressemitteilungen wurden die gleichen Meldungen im Intranet veröffentlicht. Meist im Feierabend, zum Wochenende oder wie bei der Insolvenz mitten in der Nacht. Bevor wir Neuigkeiten im Intranet gefunden haben, war es schon durch Presse, Kollegen oder Freunde an uns kommuniziert worden.

Wie zufriedenstellend hast Du bzw. haben Deine Kollegen diese Informationspolitik empfunden?

Du kannst dir sicher vorstellen, dass damit niemand glücklich war. Das der Buschfunk florierte und die Spekulationen hoch kochten. Wir forderten in den Teammeetings immer wieder dazu auf, dass Herr Bahlke persönlich Stellung nehmen sollte. Hier beruhigte man uns damit, dass man gegenüber möglichen Investoren zum Stillschweigen verpflichtet sei und er zu diesem Zeitpunkt einfach keine gesicherten Informationen geben kann. Für mich stellt sich ein Geschäftsführer vor die Belegschaft, gesteht Fehler ein, macht Hoffnung, ruft zum Zusammenhalt und dem „Ranklotzen“ auf. Aber das ist nie geschehen. Wenn wir Herrn Balke mal gesehen haben, huschte er wie ein Schatten seiner selbst an uns vorbei.

Wie änderte sich in den letzten Wochen die Stimmung in der Belegschaft?

Mit jeder Woche wurde die Unsicherheit größer, gab es Nährboden für Spekulationen und Gerüchte. Es war eine schier unerträgliche Situation. Zumal man zunehmend das Gefühl hatte, Kunden und Partner zu belügen. Nur, wir hatten ja keine Informationen! Uns wurde suggeriert, es ist nur ein kurzer Liquiditätsmangel, die Buchungslage ist super und wir werden alles daran setzen das zu überstehen. Nur das eigene Gewissen mahnte immer wieder: „Na, wenn sie da mal Recht behalten…“

Wie überraschend war für Euch die Nachricht, dass Ihr Euer Januar-Gehalt nicht bzw. verspätet erhaltet?

Als, wie gewohnt zum 30.01. kein Gehalt auf dem Konto war und Kollegen mich darauf aufmerksam machten, dass „Manage my booking“ von der Website genommen wurde, war eigentlich klar, dass Germania am Ende ist.

Wurde da schon von einer möglichen Insolvenz bzw. von Insolvenzgeld als Ersatz für das Januar-Gehalt gesprochen?

Natürlich nicht! Am 31.01 bekamen wir dann von unseren Vorgesetzten die Nachricht, dass sich die Auszahlung der Gehälter verzögern würde. „Nicht diese Woche. Wir hoffen auf kommende Woche.“ Wieder waren es die AirBerliner die das Wording hinterfragten. Denn uns wurde gesagt: „Die Gehälter sind für 3 Monate gesichert.“. Ich hätte mir nichts dabei gedacht, aber aus ihrer Erfahrung wussten sie, dass hier nur die Rede von Insolvenzgeld sein konnte. Und sie sollten Recht behalten.

Wie überraschend war die Nachricht, dass Insolvenz angemeldet und die Flotte gegroundet wurde?

An dem Montag vor der Insolvenz war eine ganz komische Stimmung bei Germania. Wir haben es alle gefühlt, dass heute wohl der letzte Tag ist. Die Spekulation um festgesetzte Flugzeuge, nicht bezahlte Rechnungen und unsere Gehälter heizten die Situation an. In den Büros hat eigentlich schon keiner mehr gearbeitet. Alle warteten nur auf die „erlösende“ Nachricht. Denn nichts war für uns schlimmer als in dieser Unklarheit gelassen zu werden. Man hatte regelrecht das Gefühl es wehte der Wind des Abschieds durch die Flure. Es erinnerte mich irgendwie an Westernfilme, wenn durch verlassene Städte der Staub wehte. Als wir in den Feierabend gingen, gab es noch keine Insolvenzmeldung. Bei mir flammte da sogar noch mal Hoffnung auf, auch weil in der Presse wieder ein Investor aus NRW (Anm. d. Red.: Es soll sich um eine Investorengruppe um den langjährigen AirBerlin-CEO, Joachim Hunold, gehandelt haben) als Retter genannt wurde. Doch es sollte anders kommen.

Wie bzw. von wem hast Du von der Insolvenz erfahren? Wie empfindest Du die Informationspolitik gegenüber den Mitarbeitern?

Ich habe eine Whatsapp-Nachricht eines Freundes bekommen, der unserer Facebook-Seite folgt und er hatte mir einen Screenshot gemacht. Danach folgten weitere Nachrichten von Freunden, Germania war Thema in den Radionachrichten und den Online-Medien. Natürlich wurde die Meldung auch wieder ins Intranet gestellt, aber wer schaut denn da beim Aufstehen schon rein? Die Presse erreichte uns da schon schneller. Ein miserables Gefühl, was uns allen sauer aufgestoßen ist. Andererseits verstehe ich, dass sie den letzten Flieger noch in Ruhe landen und dann dicht machen wollten.

Hast nur Du so spät von der Insolvenz erfahren oder ging es den meisten Kollegen wie Dir?

Die Insolvenzmeldung ging online als der letzte Flieger gelandet war. Das war mitten in der Nacht. Ich denke die meisten Kollegen haben geschlafen, als die schlechten Nachrichten auf der Website und im Intranet veröffentlicht wurden. Ich denke selbst die kleinen Abteilungsleiter wussten nicht wirklich Bescheid, aber das ist eine Mutmaßung.

Es sind ja vermutlich auch in der Verwaltung der Germania ehemalige Angestellte der Air Berlin untergekommen. Weißt Du, wie diese Kollegen die letzten Wochen und jetzt auch die Insolvenz erlebt haben?

Für sie war es der blanke Horror, da sie das Spiel schon mal 1:1 mitgemacht haben. Ich weiß von Kollegen, bei denen die Nerven komplett blank lagen. Wen wundert es, wenn man über Monate arbeitslos war, sich dann endlich in einer neuen Firma eingewöhnt hat und sich das Spiel wiederholt.

Wem gibst du die Schuld für die Insolvenz?

Ich bin nur ein kleiner Angestellter und weiß gar nicht, ob ich mir so eine Aussage anmaßen kann. Ich denke es war Missmanagement. Man hat sich übernommen, ist zu schnell gewachsen, hat auf die falschen Strecken gesetzt und gar nicht genug analysiert was uns wirklich was bringt. Herr Balke ist halt Anwalt und nicht Airliner.

Wie geht es für Dich und die Anderen weiter?

Am liebsten würde ich jetzt erzählen, dass ich ein Jahr Auszeit nehme und mich auf Bali von der Gefühlsachterbahn erhole, aber nein. Da das Insolvenzgeld rückwirkend für Januar beantragt wird, bleiben uns jetzt gerade mal noch 7 Wochen, einen neuen Job zu finden. Wie die meisten bewerbe ich mich auf alles Mögliche, nur um nicht aufs Amt gehen zu müssen und von 60% Arbeitslosengeld leben zu müssen. Davon kann man in Berlin grad mal die Miete zahlen. Wie mir, geht es den Meisten. Es sehen sich alle nach neuen Jobs um. Abteilungen wie eCommerce sind gefragt, die werden schnell wieder unterkommen und die Headhunter stürzen sich geradezu auf sie. Aber der einfache Techniker der seit 16 Jahren keine Bewerbung mehr geschrieben hat, der wird es schwer haben. Die Lufthansa will ab 2020 ihre Technik in Berlin schließen und so bleibt denen wohl nur ein Umzug oder ein Branchenwechsel. Aber mal ehrlich: wer will als Luftfahrttechniker wieder an Autos schrauben, wenn man hier ortsgebunden ist? Oder die alleinerziehende Mutter, die bei Germania eine sichere Teilzeitstelle hatte… auch sie wird nicht so leicht wieder eine adäquate Arbeit finden.

Wie stehst du emotional jetzt zu Germania?

Ich glaube immer noch, dass wir ein tolles Produkt hatten, super ambitionierte Crews und interessante Strecken. Mein Herz hängt an Germania und wie wir alle hatte ich gehofft, es findet sich eine Lösung. Aber dafür war Herr Balke wohl zu stolz. Menschlich bin ich von ihm am Meisten enttäuscht, einfach weil er nicht die Größe hatte, mit uns zu reden. Das hätte uns allen etwas bedeutet, selbst wenn das Ergebnis das Gleiche gewesen wäre. Ich werde meine Kollegen unheimlich vermissen, denn wir waren ein tolles Team und ich wünsche allen von Herzen, dass sie schnell wieder eine Aufgabe finden, die sie erfüllt, die gut bezahlt ist und für die es sich lohnt aufzustehen.

Vielen Dank für das Interview und die offenen Worte! Ich hoffe, dass Du bald was Neues findest und auch das alle Deine Kollegen so schnell wie möglich wissen, wie es für sie weiter geht!

Update 03.01.2020: Wie Der Spiegel berichtet, fordert der Insolvenzverwalter der Germania mehr als 400 Millionen Euro vom früheren Inhaber und Geschäftsführer Karsten Balke. Im Kern geht es darum, dass Insolvenzverwalter Rüdiger Wienberg davon ausgeht, dass Balke Zahlungen geleistet habe, die er zu einem bestimmten Zeitpunkt hätte nicht mehr leisten dürfen. Außerdem wird auch noch geprüft, ob die – intern umstrittenen – Aktivitäten in Gambia in Ordnung waren. Das Abenteuer Gambia Bird kostete der Germania unterm Strich mehr als 20 Millionen Euro und dürfte somit auch für die finanzielle Schieflage geführt haben, die in der Insolvenz der Airline endete.

Übersicht über die Airline-Pleiten 2019

AirlineEnde des FlugbetriebsLand2-Letter-CodeBemerkung
Tajik Air10.01.2019Tadschikistan7JZum Zeitpunkt der Einstellung achtälteste Airline der Welt
California Pacific Airlines17.01.2019USA4A
Germania05.02.2019DeutschlandST
FlyBMI16.02.2019GroßbritannienBMex BMI Regional; gehörte ehem. zu British Midland Airways (BMI)
Insel Air16.02.2019Curaçao7I
Bulgarian Eagle08.03.2019BulgarienTochter der Germania
WOW Air28.03.2019IslandWW
Jet Airways18.04.2019Indien9WEinstellung des Flugbetriebs am 17.04.2019 um 24 Uhr
Avianca Argentina07.06.2019ArgentinienA0
Avianca Brasil24.06.2019BrasilienO6Flog bereits seit Dezember 2018 unter Gläubigerschutz.
Aigle Azur06.09.2019FrankreichZI
TAM – Transporte Aéreo Militar23.09.2019Bolivien2E
Thomas Cook Airlines23.09.2019GroßbritannienMTInsolvenz aufgrund der Insolvenz des Reise-Veranstalters Thomas Cook, zu dem Thomas Cook Airlines gehörte.
Thomas Cook Airlines Scandinavia23.09.2019DänemarkDKInsolvenz aufgrund der Insolvenz des Reise-Veranstalters Thomas Cook, zu dem Thomas Cook Airlines und damit auch die Tochter Thomas Cook Airlines Scandinavia gehörte.
Fliegt als Sunclass Airlines weiter.
XL Airways France23.09.2019FrankreichSE
Adria Airways30.09.2019SlovenienJP
Peruvian Airlines02.10.2019PeruP9
Astra Airlines14.11.2019GriechenlandA2
Uni-Top Airlines20.11.2019ChinaUW
Far Eastern Air Transport13.12.2019TaiwanFE
Thomas Cook Airlines Balearics26.12.2019SpanienH5Insolvenz aufgrund der Insolvenz des Reise-Veranstalters Thomas Cook, zu dem Thomas Cook Airlines und damit auch die Tochter Thomas Cook Airlines Balearics gehörte.
Thomas Cook Airlines Balearics flog bis zum Schluss im Sub-Charter für die deutsche Condor.

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2 Kommentare

  1. wow, ein schöner und ausführlicher Beitrag. Da macht das Lesen wirklich Spaß und man vergisst die Zeit 🙂 Ich wünsche dir alles Gute und schreib weiterhin solch tolle Berichte. Liebe Grüße Marcel aus Berlin
    PS: Schon die zweite Berliner Airline Pleite :/

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